In seinem aktuellen LinkedIn Artikel vom 02. August 2021 mit dem Titel „Don’t Fear QE’s End“ nimmt Ken Fisher eine völlig konträre Sichtweise zu der allgemein verbreiteten Ansicht ein, dass die quantitative Lockerung der Federal Reserve (kurz „QE“) die Inflation antreibt, das Wirtschaftswachstum beflügelt und ein „Tapering“ (Reduzierung der Anleihekäufe durch die Fed) das Ende des aktuellen Bullenmarktes bedeutet.
Zu Beginn erklärt Ken Fisher kurz das Kerngeschäft der Banken, nämlich die Aufnahme kurzfristiger Einlagen zur Vergabe langfristiger Darlehen. Dabei entspricht die Spanne zwischen den kurz- und langfristigen Zinssätzen in etwa den Bruttogewinnmargen für neu ausgegebene Kredite. Größere Spreads bedeuten für die Banken eine profitablere Kreditvergabe, was wiederum eine positive Auswirkung auf das Kreditwachstum zur Folge hat.
Ken Fisher über die quantitative Lockerung
Den Gedanken, dass die Zentralbanken im Rahmen der quantitative Lockerung „Geld drucken“ hält Fisher für falsch! Seiner Meinung nach schaffen die Zentralbanken im Rahmen der quantitativen Lockerung nicht zirkulierende „Reserven“, mit denen sie von den Banken Anleihen aufkaufen. Diese zusätzliche Nachfrage kurbelt die Anleihekurse an. Da sich Preise und Renditen am Anleihemarkt gegenläufig bewegen, sinken die langfristigen Zinsen.
Ken Fisher argumentiert, dass der derzeitige Fed-Vorsitzende Jerome Powell und seine beiden Vorgänger glauben, dass diese niedrigeren Zinsen einen Anreiz darstellen, indem sie die Kreditaufnahme fördern. Dieses „nachfrageorientierte Denken“ wird nur von wenigen Experten bezweifelt. Fisher weist darauf hin, dass es neben der Nachfrage auch ein Angebot gibt und Notenbänker die Angebotsseite, die seiner Einschätzung nach viel mächtiger ist, vergessen.
Fisher erklärt, dass die Zentralbanken das Kerngeschäft des Bankwesens fast vollständig ignorieren. Wenn die kurzfristigen Zinsen nahe Null liegen, verringert eine Senkung der langfristigen Zinsen die Spanne zwischen den beiden. Das bedeutet, dass sich die Zinsstrukturkurve abflacht. Dadurch wird die Kreditvergabe weniger rentabel, was dazu führt, dass die Banken weniger Geld verleihen.
Laut Ken Fisher besteht in allen auf Zentralbanken basierenden Systemen der entwickelten Welt die einzige Möglichkeit zur Geldschöpfung darin, die ausstehende Nettokreditvergabe zu erhöhen. Demnach verringern schrumpfende Zinsspreads unter sonst gleichen Bedingungen die Kreditvergabe. Das Geldmengenwachstum verringert sich als Folge ebenfalls.
Historische Entwicklungen
Fisher verweist auf die jüngere Geschichte. Nach der globalen Finanzkrise 2008 hat die US-Notenbank insgesamt drei große QE-Runden durchgeführt, durch die das Kredit- und Geldmengenwachstum geschrumpft ist.
In den fünf US-Expansionen vor dem Jahr 2008 lag das Kreditwachstum im Jahresvergleich bei durchschnittlich 8,2%. Aber von den ersten langfristigen Treasury-Käufen der Fed im März 2009 bis zur anfänglichen Reduzierung im Dezember 2013 betrug das Kreditwachstum im Jahresdurchschnitt nur noch 0,8%.
Nach dem Tapering der Notenbank beschleunigte sich das Kreditwachstum wieder auf durchschnittlich 5,8%, bis die pandemiebedingte Schließung der Wirtschaft im Frühjahr 2020 die Expansion gestoppt hat. Ken Fisher kritisiert die Geldpolitik der Notenbank als fehlerhaft und findet es bezeichnend, dass die US-Geldmenge während der QE-Programme so langsam gewachsen ist wie nie zuvor.
Den Ausführungen Fishers folgend, ist die US-Kreditvergabe seit den Lockdown-Maßnahmen im letzten Frühjahr in insgesamt elf von 13 Monaten zurückgegangen. Im Juni 2021 lag das Kreditwachstum bei nur noch 2,8%.
Quantitative Lockerung und Inflation
Wie bereits in seinem Artikel vom 26. Mai 2021 von Ken Fisher angemerkt, entsteht Inflation dadurch, dass zu viel Geld auf zu wenige Güter und Dienstleistungen trifft. Die durch die quantitative Lockerung reduzierte Vergabe von Krediten seitens der Banken führt zu weniger Geld und damit zu einem geringeren Inflationsdruck. Damit hat QE eine disinflationäre Wirkung!
Immer wenn eine quantitative Lockerung als geldpolitische Maßnahme angewendet wurde, wie beispielsweise in Japan, hat dies zu geringerer Inflation geführt. Ken Fisher sagt, dass die meisten sogenannten „Experten“ diesen Zusammenhang nicht sehen, weil sie den angebotsseitigen Aspekt der Geldpolitik unberücksichtigt lassen.
Aus diesem Grund lag die Inflation während der letzten Expansion der US-Wirtschaft im Durchschnitt bei nur 1,6% im Jahresvergleich. Eine unterdurchschnittliche Kreditvergabe verursachte ein unterdurchschnittliches Geldmengenwachstum und hat damit zu einer unterdurchschnittlichen Inflation geführt.
Die tatsächliche Wirkung von Tapering
Da die im Frühjahr 2009 begonnene Expansion auf einen kreditbezogenen Abschwung folgte war es für Ken Fisher denkbar, dass irgendeine Art von Zentralbankaktion tatsächlich helfen könnte. Im Jahr 2020 gab es seiner Einschätzung nach allerdings keine Logik hinter den Maßnahmen der Fed und anderen Zentralbanken, die das Instrument der quantitativen Lockerung zur Bewältigung der COVID-Krise eingesetzt haben.
Wie soll eine Senkung der langfristigen Zinssätze die Nachfrage ankurbeln, wenn ein Lockdown der Wirtschaft den Handel zum Erliegen bringt?
Daher macht es für Ken Fisher in umgekehrter Logik keinen Sinn, das Zurückfahren der quantitativen Lockerung zu fürchten. Dennoch haben immer noch viele Marktteilnehmer Angst, dass das Tapering zu geringerem Wohlstand und sinkenden Aktienkursen führt.
Diese Befürchtungen hält Fisher für falsch. Unter ansonsten gleichen Bedingungen würde das Tapering die langfristigen Zinsen im Vergleich zu den kurzfristigen Sätzen anheben und den Anreiz für die Banken erhöhen Kredite zu vergeben. Mehr Kreditvergabe würde das Wirtschaftswachstum und damit auch den Aktienmarkt ankurbeln.
Eine andere Befürchtung ist, dass eine Kürzung der QE-Programme die Psychologie der Märkte negativ beeinflussen könnte. Ken Fisher sagt dazu, dass Volatilität kurzfristig gesehen immer möglich ist, aber nicht lange andauern würde, da das Tapering seit vielen Monaten die Schlagzeilen der Finanzmedien beherrscht.
Somit ist ein Großteil der Auswirkungen einer restriktiveren Geldpolitik bereits in den Aktienkursen eingepreist. Märkte werden nur durch Überraschungen bewegt. Wie die Geschichte zeigt, deutet laut Ken Fisher sowohl aus fundamentaler als auch aus emotionaler Sicht nichts darauf hin, dass Tapering als Treibstoff für einen neuen Bärenmarkt fungiert.
Während viele Experten das sogenannte Taper Tantrum aus dem Jahr 2013 als eine große Sache für die Märkte angepriesen haben, zeigt die Realität etwas anderes. Nachdem der damalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke im Mai 2013 zum ersten Mal eine Drosselung der Anleihekäufe angedeutet hatte, sanken die Kurse langfristiger Staatsanleihen – die Renditen 10-jähriger Laufzeiten stiegen bis zum Jahresende von 1,94% auf 3,04%.
Am Aktienmarkt beliefen sich die Auswirkungen auf einen Rückgang der US-Aktien um -5,6% vom 21. Mai bis Ende Juni 2013 – historisch gesehen eine unbedeutende Volatilität. Danach stiegen die Aktienkurse wieder, sodass der S&P 500 bis zum Jahresende prozentual zweistellige Kursgewinne gegenüber dem Beginn des Tapering verzeichnen konnte.
In 2014 stieg der Aktienmarkt weiter an, nachdem die Fed mit der Reduzierung der Anleihekäufe tatsächlich begonnen hatte, während die Rendite 10-jähriger Anleihen auf 2,17% zurückfiel.
Fazit
Nach der Einschätzung von Ken Fisher könnte sich die Aufmerksamkeit des Marktes vor jeder bevorstehenden Fed-Sitzung verstärken, bis ein Tapering tatsächlich eintrifft. Diesbezüglich hat Fisher die Jackson Hole Konferenz Ende August vor Augen, die in der Öffentlichkeit immer wieder als besonders kritisch eingestuft wird.
Abschließend rät Fisher sich keine Sorgen zu machen, da fehlerhafte Befürchtungen über das Ende der quantitative Lockerung nicht die Kraft haben, den Aktienmarkt langfristig zu beeinflussen.