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Warren Buffett und die Fabel von Äsop

Ergänzend zu der an der Wall Street aktuell geführten Value versus Growth Debatte, passt eine von Warren Buffett verwendete Analogie für die Bewertung von Vermögensgegenständen, die er in Anlehnung an eine Fabel des antiken griechischen Dichters Äsop in seinem Aktionärsbrief für das Jahr 2000 wie folgt beschrieben hat:

Äsops dauerhafte wenn auch etwas unvollständige Investmenteinsicht lautete:„Ein Vogel in der Hand ist soviel Wert wie zwei Vögel im Busch“. Um dieses Prinzip zu konkretisieren, müssen Sie nur drei Fragen beantworten. (1) Wie sicher sind Sie, dass es tatsächlich Vögel im Busch gibt? (2) Wann werden sie erscheinen und wie viele werden es sein? (3) Wie hoch ist der risikofreie Zinssatz (den wir als Rendite langfristiger US-Anleihen betrachten)?

Warren Buffett, Aktionärsbrief 2000

Nachdem man Buffetts Analogie verstanden hat, erscheint sie absurd einfach und aufschlussreich zugleich.

Der Vogel in der Hand steht für den risikofreien Zinssatz, den Anleger beim Kauf von langfristigen Staatsanleihen erhalten würden. Daher sollte die erwartete Rendite aus einer Aktieninvestition darüber liegen. Um herauszufinden, ob eine Aktie attraktiv genug ist, müssen aber auch die beiden verbleibenden Fragen beantwortet werden:

  1. Gibt es Vögel im Busch?
  2. Wann werden sie auftauchen und wie viele werden es sein?

Zusammengenommen repräsentieren die offenen Fragen die zukünftigen Cashflows eines Unternehmens. Um diese möglichst exakt zu bestimmen, ist es wiederum erforderlich, eine realistische Annahme über die voraussichtliche Wachstumsrate dieser Cashflows zu treffen.

Cashflows für ein Unternehmen zu prognostizieren ist jedoch nicht einfach. Was ein Anleger braucht, so Warren Buffett, ist „ein allgemeines betriebswirtschaftliches Verständnis sowie die Fähigkeit zum eigenständigen Denken, um zu einem fundierten Ergebnis zu kommen“.

Die prognostizierten Cashflows sollten eher eine Bandbreite als eine feste Zahl sein, damit der Anleger eine Spanne von der pessimistischsten bis hin zur optimistischsten Einschätzung erhält. Dies hilft nach Aussage von Buffett, eventuelle Fehler in den Prognosen zu glätten.

In Branchen, in denen sich die Technologie schnell verändert oder im Falle neuer Unternehmen wird es allerdings schwierig, eine Reihe von Schätzungen für den zu erwartenden Cashflow durchzuführen. In solchen Fällen muss laut Warren Buffett „jegliche Kapitalbindung als spekulativ gekennzeichnet werden“.

Aus diesem Grund rät Buffett auch immer wieder dazu, nur innerhalb des persönlichen Kompetenzbereichs zu investieren, also in Unternehmen, die man versteht.

Weitere Erläuterungen zu Äsops Fabel

Auf der Berkshire Hathaway Jahreshauptversammlung vom 29. April 2000 hat Warren Buffett Äsops Aussage „Ein Vogel in der Hand ist soviel Wert wie zwei Vögel im Busch“ anhand eines Beispiels noch etwas anschaulicher erläutert.

In seinem Beispiel geht Buffett von einem risikofreien Zinssatz von 5% aus. Wenn die Zinsen auf langfristige Staatsanleihen bei 5% liegen und der Anleger in fünf Jahren zwei Vögel aus dem Busch holt, sind zwei Vögel im Busch viel besser als ein Vogel in der Hand.

Denn zwei Vögel im Busch in fünf Jahren, sinnbildlich für eine Verdoppelung des Cashflows, entsprechen einer durchschnittlichen jährlichen Verzinsung von fast 15% (bei einem risikofreien Zinssatz von nur 5%).

Bei einem risikofreien Zinssatz von 20% würde es der Anleger jedoch ablehnen, in fünf Jahren zwei Vögel aus dem Busch zu ziehen. Denn der Vogel in der Hand würde mit einer Verzinsung von 20% per anno in fünf Jahren zu zweieinhalb Vögeln führen und damit eine höhere Rendite erzielen, als die beiden Vögel im Busch.

Der Einfluss des Wachstums

An dieser Stelle bringt Warren Buffett die Wachstumsrate der Cashflows ins Spiel. Das Wachstum wird mit viel mehr Vögeln im Busch assoziiert, aber der Anleger muss sich immer noch entscheiden, wann er diese Vögel bekommt.

Darüber hinaus muss das Ergebnis mit verschiedenen vom Anleger zu prognostizierenden Zinssätzen gemessen und mit anderen Büschen verglichen werden.

Und das ist laut Buffett alles, worum es beim Investieren geht. Investieren ist eine Entscheidung, die darauf basiert was etwas wert ist, wie viele Vögel sich im betrachteten Busch aufhalten, wann sie herauskommen werden und wie hoch die Zinsen sind.

Schlussbemerkung

Warren Buffett hat seine Analogie zu Äsops Fabel auf dem Hochpunkt der Dotcom-Blase publiziert. In Anlehnung an die damals vorherrschende Euphorie am Aktienmarkt fügte er im Aktionärsbrief für das Jahr 2000 noch folgende Zeilen hinzu:

Das so erweiterte und in Dollar umgerechnete Anlageaxiom von Äsop ist unveränderlich. Es gilt für Ausgaben für landwirtschaftliche Betriebe, Öllizenzen, Anleihen, Aktien, Lotterielose und Produktionsanlagen. Und weder das Aufkommen der Dampfmaschine, die Nutzung der Elektrizität noch die Entwicklung des Automobils haben die Formel um ein Jota geändert – noch wird das Internet dies tun.

Buffett sagt damit, dass Wachstums- und Technologieunternehmen in jedem Zyklus von einer gewisse Arroganz umgeben sind. Zu Beginn der 1970er Jahre waren es die Nifty Fifty Aktien (hoch bewertete Aktien, die dennoch weiter gekauft wurden) und während er Dotcom-Blase waren es die Aktien von Technologie-, Medien- und Telekommunikationsunternehmen.

Heute sind es die FAANG-Aktien, diverse Neuemissionen, SPACs (Special Purpose Acquisition Company), Meme-Aktien und Kryptowährungen. Offen ist lediglich, wie sich die in einigen Marktsegmenten aufkommende Euphorie diesmal auflösen wird.

In Kategorie: Miscellaneous

Über den Autor

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Guten Tag, mein Name ist Mario Wolff. Ich bin privater Investor und beschäftige mich seit mehr als 25 Jahren mit der Anlagephilosophie des Value Investing. Wenn Du magst, kannst Du meinem Blog auf X (ehem. Twitter) folgen oder den Feed abonnieren.

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