Nachdem die US-Notenbank in ihrer Sitzung am 16. Juni verkündet hat, dass sie ihre Geldpolitik entsprechend anpassen wird, falls der jüngste Inflationsanstieg nicht temporär ist und die Inflationsrate mittel- bis langfristig etwas höher ausfällt, entwickelten sich die Renditen für 10-jährige US-Staatsanleihen rückläufig und liegen aktuell knapp unter 1,3%.
In der Folge kam die im 4. Quartal 2020 begonnene Outperformance von Value-Aktien ins stottern und es erfolgte eine Rotation zurück zu Growth-Aktien.
Chart: Russel 1000 Value (schwarze Linie) versus Russell 1000 Growth (rote Linie) Index
Value- oder Growth-Aktien: Eine falsche Einteilung
Gemeinhin werden als Growth- oder Wachstumswerte diejenigen Unternehmen bezeichnet, die aufgrund ihrer Zukunftsaussichten das Potenzial haben, den Gesamtmarkt im Laufe der Zeit zu übertreffen.
Dagegen werden Value-Aktien normalerweise als Aktien von Unternehmen klassifiziert, die derzeit unter ihrem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert gehandelt werden und daher in der Zukunft eine überdurchschnittliche Rendite erzielen sollen.
Über die Frage, welche Anlagephilosophie die beste ist, gibt es unzählige Debatten und beide Strategien haben zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte zu einer Outperformance geführt. Investieren ist jedoch eine lebenslange Aktivität und in der Wirklichkeit hängt die Aktienauswahl wahrscheinlich eher von den persönlichen Anlagezielen und dem eigenen Temperament ab.
Aus diesem Grund ist es wichtig, die jeweilige Philosophie hinter den beiden Strategien des Value Investing und des Growth Investing zu kennen.
Das klassische Value Investing
Beim klassischen Value-Ansatz versucht der Anleger Unternehmen mittels einer konservativen Aktien-Bewertung nach Standardkennzahlen wie dem Kurs-Buchwert-Verhältnis, Kurs-Gewinn-Verhältnis oder der Dividendenrendite zu einem Schnäppchenpreis zu kaufen. Klassisches Value Investing sucht nicht speziell nach überdurchschnittlichen Unternehmen, sondern nach statistisch günstigen Aktien.
Zwar ist es stets vorzuziehen, ein Qualitätsunternehmen zu kaufen, aber dies steht nicht im Mittelpunkt des ursprünglichen Graham-Ansatzes. Benjamin Graham war der Kauf eines Qualitätsunternehmens im Prinzip gleichgültig, wenn man die Aktien statistisch gesehen billig genug erwerben konnte.
Graham hat auch nie viel Vertrauen in die zukünftigen Wachstumsaussichten eines Unternehmens gesetzt, da die Zukunft seiner Meinung nach ungewiss ist. Der Kauf eines Unternehmens mit einem Abschlag zu seinem bilanzierten Nettoumlaufvermögen war für ihn real und greifbar. Beim traditionellen Value Investing liegt der Fokus also darauf, einen Dollar für viel weniger zu kaufen, als er wert ist.
Value und Wachstum sind an der Hüfte verbunden
In den frühen Tagen der Buffett Partnership, in denen Warren Buffett noch kleine Geldsummen verwaltete, war er eher ein Value Investor im klassischen Graham-Stil. Während dieser Zeit fiel Buffetts Performance außergewöhnlich hoch aus. Im Zeitraum 1957-1969 erreichte er eine durchschnittliche jährliche Rendite von 29,5%.
Im Laufe der Zeit hat Warren Buffett den Ansatz von Benjamin Graham jedoch weiterentwickelt und in seinem Aktionärsbrief für das Jahr 1992 wie folgt beschrieben:
Die meisten Analysten meinen, zwischen zwei Ansätzen wählen zu müssen, die üblicherweise als gegensätzlich angesehen werden: „Value“ und „Growth“. Tatsächlich betrachten viele Anlageexperten jede Vermischung der beiden Begriffe als eine Art intellektuellen Stilbruch.
Wir betrachten das als unscharfes Denken (mit dem ich mich zugegebenermaßen vor einigen Jahren beschäftigt habe). Beide Ansätze sind unserer Meinung nach an der Hüfte verbunden: Wachstum ist immer eine Komponente in der Berechnung des Wertes. Sie bildet eine Variable, deren Bedeutung vernachlässigbar bis enorm sein kann und deren Auswirkungen sowohl negativ als auch positiv sein können.
Seinen Glauben, dass die gewöhnlichen Vereinfachungen zu Wachstum und Value nicht zielführend sind, untermauerte Warren Buffett noch einmal in seinem Aktionärsbrief für das Jahr 2000:
Gängige Maßstäbe wie die Dividendenrendite, das Verhältnis von Aktienkurs zu Gewinn oder zum Buchwert, oder sogar Wachstumsraten haben mit der Bewertung nichts zu tun. Es sei denn, sie geben Hinweise auf Höhe und Zeitpunkt der Cashflows in und aus dem Unternehmen.
In der Tat kann Wachstum Wert vernichten, wenn es in den ersten Jahren eines Projekts oder Unternehmens Barmittel benötigt, die den diskontierten Wert der Barmittel übersteigen, die diese Vermögenswerte in späteren Jahren generieren werden.
Marktkommentatoren und Investmentmanager, die „Growth“ und „Value“ salopp als gegensätzliche Anlagestrategien bezeichnen zeigen ihre Ignoranz, nicht ihre Raffinesse. Wachstum ist einfach eine Komponente – meist ein Plus, manchmal ein Minus – in der Wertgleichung.
Heute basiert Buffetts Ansatz auf dem Konzept, wunderbare Unternehmen zu einem fairen Preis zu kaufen. Das Unternehmen muss einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil beziehungsweise einen wirtschaftlichen Graben haben, der die Konkurrenz abwehren und seine Gewinne und Margen schützen kann. Unternehmen mit solchen Gräben verfügen über hohe Kapitalrenditen, überdurchschnittliche Gewinnmargen und vorhersehbare Cashflows.
Die Rechtfertigung für wunderbare Unternehmen etwas mehr zu bezahlen ist, dass sie in der Zukunft weiterhin wachsen und freien Cashflow für die Aktionäre produzieren werden.
Schlussfolgerung
Anleger sollten Aktien nicht einfach in die Kategorien „Value“ und „Growth“ unterteilen. Der wirtschaftliche Wert eines Unternehmens hängt von mehreren Faktoren und Variablen ab, eine davon ist die zukünftige Wachstumsrate.
Anstatt kurzsichtig zwischen Wachstum und Value zu unterscheiden, sollten Anleger ihre Wachstumserwartungen in den von ihnen kalkulierten Wert einer Aktie einbeziehen und eine Kaufentscheidung treffen, wenn der geschätzte Wert ausreichend über dem aktuellen Aktienkurs liegt.