Deep-Value ist eine quantitative Strategie des Value Investing, bei der die vermeintlich günstigsten Aktien – basierend auf unterschiedlichen Bewertungskennziffern – für eine Investition ausgewählt werden. Im Prinzip ist die Deep-Value Strategie eine relativ leicht anzuwendende Art des Investierens.
Investoren, die dieser Anlagestrategie folgen, suchen einfach nach Aktien mit den niedrigsten Bewertungskennziffern am Markt. Häufig verwendete Kennziffern sind beispielsweise das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das Kurs-Gewinn-Verhältnis, die Dividendenrendite, das Verhältnis von Enterprise Value (EV) zu EBITDA oder die Free-Cashflow Rendite.
Ursprünge der Deep-Value Strategie
Die Anlagestrategie des Deep-Value Investing geht auf Benjamin Graham zurück. Demnach besteht der Kern des Value Investing im Kauf von Aktien, deren Kurse deutlich unter ihren wirtschaftlichen Werten notieren, die Graham als Inneren Wert oder Zentralwert bezeichnete.
Bewertungskennziffern wie zum Beispiel das Kurs-Buchwert-Verhältnis oder das Kurs-Gewinn-Verhältnis werden in der Regel als relative Bewertungskennzahlen betrachtet, die den Vergleich zweier oder mehrerer Unternehmen mit ähnlichen Merkmalen ermöglichen.
Graham entdeckte jedoch, dass Aktien mit niedrigen Bewertungsmultiplikatoren auf absoluter Basis, wie z.B. einem KGV unter 3, wahrscheinlich den Markt übertreffen werden. Denn ein gut diversifiziertes Portfolio, das aus solchen absolut billigen Aktien aufgebaut ist neigt dazu, den Markt im Laufe der Zeit zu schlagen.
Benjamin Graham setzte seine Lehren in die Praxis um und gründete die Graham-Newman Corporation, die von 1926 bis 1958 tätig war. Graham-Newman kaufte Aktien, die unter ihrem Buchwert und manchmal sogar unter ihrem Bargeldbestand gehandelt wurden.
Die Graham-Newman Corporation beschäftigte unter anderem zwei von Benjamin Grahams Studenten, Warren Buffett und Walter Schloss.
Während Warren Buffett seine Investmentstrategie im Laufe der Jahre vom Kauf billiger Aktien zum Kauf „wunderbarer Unternehmen zu einem fairen Preis“ weiterentwickelt hat, kaufte Walter Schloss weiterhin billige Unternehmen ungeachtet qualitativ vorhandener Mängel.
Mit der Deep-Value Strategie erzielte Graham-Newman über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren eine durchschnittliche Rendite von 17% per anno, während Walter Schloss über viereinhalb Jahrzehnte eine jährliche Rendite von 20% erwirtschaftete, an der seine Anteilseigner mit 15% beteiligt waren.
Der Deep-Value Ansatz von Walter Schloss
Walter Schloss beschrieb seine Praxis in billige Aktien von geringerer Qualität zu investieren, in einem im Jahr 1989 mit dem Journal „Outstanding Investor Digest“ geführten Interview wie folgt:
Cleveland Cliffs kann Ihnen ein gutes Beispiel für unseren Denkprozess geben. Ihr Hauptgeschäft war der Verkauf von Eisenerz an Stahlwerke. Wir kauften ihre Aktien nicht, weil wir nach einer günstigen Investition in die Stahlindustrie suchten. Wir haben uns die Aktie angesehen, weil wir der Meinung waren, dass sie einen guten Wert darstellt. Cleveland Cliffs war das beste Unternehmen auf seinem Gebiet.
Als die Stahlindustrie jedoch im Niedergang begriffen war und viele dieser Unternehmen durch ihre hohen Schulden zahlungsunfähig wurden und der größte Cleveland Cliffs Aktionär seine Anteile verkaufte, fiel der Kurs der Aktie auf 6 Dollar pro Stück. Wir haben viele Aktien gekauft.
Wir haben die Aktien gekauft, obwohl von Konkurs die Rede war. Wenn wir in Cleveland gelebt hätten, hätten wir das Unternehmen wahrscheinlich nicht gekauft, weil wir den schlechten Nachrichten zu nahe gewesen wären. Wie auch immer, nachdem wir eingestiegen waren, ging es der Firma wieder besser.
Sie haben einige Vermögenswerte verkauft und einige Aktien zurückgekauft. Wir haben Cleveland Cliffs nicht gekauft, weil wir wussten, was passieren würde. Aber uns gefiel die Idee, dass es sich um einen kostengünstigen Eisenerzproduzenten handelte, der 50% seiner Reserven in Amerika besitzt.
Das Verhalten von Deep-Value Aktien
Als Gruppe erzielen sogenannte Deep-Value Aktien überdurchschnittliche Renditen, weil Anleger auf schlechte Nachrichten übertrieben reagieren. Wie alle Menschen sind Anleger anfällig für bekannte kognitive Verzerrungen, die die Kurse von Aktien mit unterdurchschnittlicher Performance unter ihren wirtschaftlichen Wert drücken.
Fälschlicherweise glauben viele Anleger, dass ein Unternehmen mit einer Unterperformance auch in Zukunft eine unterdurchschnittliche Kursentwicklung aufweisen wird, während Statistiken zeigen, dass solche Unternehmen ihre Ergebnisse wieder verbessern und damit zu ihren Mittelwerten zurückkehren können.
Dies führt dazu, dass der Aktienmarkt diese Unternehmen oftmals unterbewertet. Anleger geben schlechten Nachrichten zu viel Gewicht und lassen die Aktienkurse unter ihren Inneren Wert fallen. Wenn die Aktien ihren Tiefpunkt erreicht haben und günstig bewertet sind, kommen meist Kräfte ins Spiel, die eine Wende herbeiführen.
Mean-Reversion-Effekt
Der Mean-Reversion-Effekt besagt, dass Unternehmen, die unterdurchschnittlich abgeschnitten haben dazu neigen, ihre Ergebnisse im Laufe der Zeit zu verbessern und zum Branchendurchschnitt zurückkehren. Also zur durchschnittlichen Performance der Gruppe als Ganzes.
Veränderungen im Unternehmen selbst
Oft sind es auch die Bemühungen des Managements oder des Aufsichtsrates, die ein Unternehmen mit unterdurchschnittlicher Entwicklung wieder auf Vordermann bringen. Zum Beispiel nimmt der Vorstand Veränderungen im Managementteam vor oder Vorstand und Management erkennen ihre Fehler selbst und beheben sie.
Aktivistische Investoren
Nicht selten werden sogenannte aktivistische Investoren auf das Unternehmen aufmerksam und kaufen genügend Aktien, um die strategische Ausrichtung zu beeinflussen oder sogar die vollständige Kontrolle zu erlangen. Beispiele für aktivistische Investoren sind Bill Ackman, Carl Icahn oder Paul Singer.
Zusammenfassung
Das Investieren nach der Deep-Value Strategie ist meist mit einer Vielzahl von Problemen verbunden. Die statistisch gesehen billigsten Aktien repräsentieren in der Regel die am stärksten angeschlagenen Unternehmen mit den schwächsten Finanzkennzahlen oder fehlgeschlagenen Geschäftsstrategien.
Viele niedrig bewertete Unternehmen verlieren Geld, sind in problematischen Branchen tätig oder werden von inkompetenten Managern geführt. Deep-Value Investoren kaufen die Aktien solcher Unternehmen in voller Kenntnis der fehlenden Qualitätsaspekte.
Solange der größte Anteil des öffentlich verwalteten Kapitals von Institutionen gemanagt wird, die Unternehmen bevorzugen welche „everybody’s darling“ sind, werden die Aktienkurse von problematischen Unternehmen regelmäßig unter ihren wirtschaftlichen Wert gedrückt und schaffen damit Gelegenheiten.
Hallo Herr Wolff,
zunächst vielen Dank für das Teilen Ihrer Ansicht, zu der ich gern ein paar vertiefende („deepe“ 🙂 Fragen habe.
Walter Schloss hat also nicht aufgrund der Finanzkennzahlen ein Value-Unternehmen identifiziert, sondern einfach die Idee gekauft, dass das Unternehmen „50% seiner Reserven in Amerika“ besitzt. Wenn es innerhalb der Branche ohnehin schon Konkurse gab, wäre es wohl auch nicht vermessen, dies bei Cleveland Cliffs ebenfalls erwartet zu haben.
In Ihrer Zusammenfassung kommen Sie zu dem Schluss, dass Deep-Value-Investoren günstige Aktien kaufen, gerade weil ihnen die klassischen Value-Aspekte fehlen. Man kauft also eigentlich nur, weil die Aktie so billig ist. Wo ist da der Value-Ansatz? Und was macht diesen Value-Ansatz dann zum Deep-Value-Ansatz? (Deep wegen Aktienkurs tief?)
Ich freue mich auf Ihre Antwort!
Viele Grüße
V. Bouvier
Hallo Herr Bouvier,
meines Erachten hat Walter Schloss Cleveland Cliffs gekauft, da er es für das seinerzeit beste Unternehmen (er sprach auch von kostengünstigem Eisenerzproduzenten) in der Branche hielt, bevor die Stahlindustrie mit Problem konfrontiert wurde. Der Aspekt, dass 50% der Reserven in Amerika lagen, kam als subjektives Merkmal hinzu. Letztlich fiel die Kaufentscheidung aber aufgrund des gefallenen Aktienkurses und damit aufgrund der vermeintlich günstigen Bewertung.
Dass die Sache bei einzelnen Investments auch schief gehen kann, nehmen Deep Value Investoren in Kauf. Zum Beispiel hat Benjamin Graham bei seinen net net Aktien immer darauf hingewiesen, dass diese nur als Gruppe eine überdurchschnittliche Rendite erwarten lassen. Laut Warren Buffett war Walter Schloss auch immer „in hohem Maße diversifiziert und hatte stets weit mehr als 100 Aktien im Portfolio“. Den Konkurs von Cleveland Cliffs hätte er also verschmerzen können.
Beim Deep-Value Ansatz werden Aktien hauptsächlich gekauft, weil ihre Bewertung nach verschiedenen Metriken niedrig ist. Es ist der klassische Graham-Ansatz, den Dollar für 50 Cent zu erwerben und die Aktien wieder zu veräußern, nachdem sich die Schere zwischen Preis und Wert geschlossen hat. Dabei muss natürlich auch immer die Aussicht bestehen, dass die Probleme der Unternehmen vorübergehender Natur sind und gelöst werden können.
Viele Grüße
Mario Wolff